Nach vielen Anläufen hatte ich es geschafft, von meinen Eltern los zu kommen und eine eigenen Wohnung zu beziehen. Ein kleiner Umweg über eine Therapie war nötig gewesen. Als es alles wieder unerträglich im Elternhaus wurde war ich zu einem Arzt gegangen und hatte mich für einen sofortigen Tablettenentzug eingefunden. Es ging alles wunderbar und noch am selben Tag ärgerte ich mich, dass bei der Aufnahme meine Reservepackung vom Klinikpersonal entdeckt wurde. Aber egal, Hauptsache weg von zu Hause, diesen ständigen Vorwürfen, Besäufnissen und all dem Mist. Am Ende der Therapie hatte ich viel gelernt und nichts begriffen. Aber ich fand mich gut. Tabletten waren nun ein für alle Mal kein Thema mehr und so wie die Alkoholiker in der Therapie war ich ohnehin nicht.

Eine Sozialarbeiterin besorgte mir eine billige Wohnung und einen Job. Endlich hatte ich selbst verdientes Geld und meine Eltern besuchte ich am Wochenende. Das wurde zur Pflicht, aber ich war noch ein wenig auf ihre finanzielle Unterstützung angewiesen. Aber ich ging auch wieder in Diskotheken, rauchte grünen Afghanen mit neuen Freunden. Später probierte ich den Tipp mit dem Kleber aus. Es gab da eine bestimmte Sorte, die sich besonders gut eignete. So manches Mal befand ich mich für kurze Zeit in einer anderen Welt, als ich den Klebstoff inhalierte.

Mein Freund Dieter rief eines Tages an. Dieter, mein großes Vorbild, seit vielen Jahren trocken und er wohnte ein paar Tage bei mir, als nach meiner 1. Therapie die Entzugserscheinungen des jahrelangen Tablettenkonsums einsetzten. Ein Gefühl wie auf einer Streckbank, der ganze Körper schmerzte und an Schlaf war fast eine Woche lang nicht zu denken. Ohne Dieter wären diese Tage bestimmt nicht zu überstehen gewesen und mit Sicherheit hätte ich mir irgendwelche Schlaftabletten besorgt, nur, damit diese Schmerzen aufhörten. Und nun fragte er mich am Telefon, ob ich noch die Adresse der Suchtgefährdeten-Gruppe wisse. Da er sich gerade an einem nicht weit entfernten Bahnhof befand, fuhr ich hin und traf ihn in einem erbärmlichen Zustand. Er war rückfällig geworden und das war ein echter Schock. Gerade Dieter, der doch alles wusste und so fest auf beiden Beinen stand! Er zitterte am ganzen Leib und ich lief schnell zu einem Kiosk, holte eine Dose Bier und machte sie auf. Dieter war ein ‘harter’ Trinker und genauso hart würde sein Entzug werden. Er nahm einen Schluck, übergab sich, trank wieder und übergab sich. Die Bank auf der wir saßen, wackelte bedenklich, so sehr zitterte und schüttelte sein Körper. Danach begleitete ich ihn ins nächste Krankenhaus.

Noch ein paar Worte zu der Bezeichnung ‘harter Trinker’. Manche Menschen können drei Portionen essen, anderen genügt eine um satt zu sein. Bei Trinkern ist das nicht anders. Manche brauchen mehrere Flaschen Schnaps, andere nur ein paar Gläser. Nur die Trinkmenge ist unterschiedlich, doch die Alkoholkrankheit ist bei beiden die gleiche. Der Edelalkoholiker, der vornehm aus Gläsern eine Marke guten und teuren Whiskys in seinem Penthouse in sich schüttet, ist nicht anders als der Hartz IV Kumpel, der in seiner Sozialwohnung drei Flaschen Aldi-Sonderangebots-Schnaps in sich kippt.

Dieter tat mir unendlich leid und ich sah in keiner Sekunde Gemeinsamkeiten zwischen uns beiden. Ich war von Tabletten geheilt, ich hatte bewiesen, dass ich damit umgehen konnte. Klar, früher hatte ich auch gesoffen wie ein Loch, doch nur, wenn ich keine Tabletten hatte. Ich hatte alles im Griff.

Am Abend machte ich es mir gemütlich, dachte an Schottland, an die alten Freunde und an Dieter, während ich kiffte. Doch Shit war nicht immer zu haben und für den Klebstoff musste ich immer in die Stadt fahren. Somit stieg ich auf Alkohol um, den gab es überall und überhaupt – alles kein Problem – ich hatte ja mit den Tabletten bewiesen, dass ich alles im Griff hatte. Es war heiß an dem Tag und ein kühles Alsterwasser… war ja eigentlich kein richtiger Alkohol, oder?

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