Viele Jahre später – mein Freund der Alkohol
Geräusche drangen wie durch Watte an mein Gehör. Der Kopf schmerzte. Draußen war in der Ferne das Lachen von Kindern zu hören und das bedeutete, die Schule war schon lange beendet, später Nachmittag. Eine gute Nachricht, denn bald würde es dunkel werden. Ich hasste den Tag, dieses grelle Licht. Unmöglich sich zu verstecken. Panik. Panische Angst. Am Tag könnte es an der Tür klingeln und irgendjemand würde irgendetwas wollen. Das galt auch für das Telefon. Am Tage nahm ich es schon gar nicht mehr ab. Ich fluchte, denn mein Bett war wieder vollgepisst. Wie ein alter Mann erhob ich mich und die Kopfschmerzen stachen fast in mein Gehirn. Mit zitternden Händen zündete ich mir eine Zigarette an.
Ein halbe Flasche Bier und ein Rest Apfelkorn. Das Bier erbrach ich gleich wieder in die Küchenspüle. Dann wartete ich, bis mein Magen sich etwas beruhigt hatte und setzte mit zitternden Händen die Kornflasche an meine ebenso zitternden Lippen. Das leichte Brennen des Korns, als er durch meine Kehle floss, war angenehm, erlösend.
Voller Panik versuchte ich mich an das heutige Datum zu erinnern, hatte ich nicht einen Termin beim Arbeitsamt? Irgendwann kam ich auf die Idee, den Fernseher einzuschalten und irgendwann fand ich heraus, dass der Termin erst in 2 Tagen war. Die Sonnenstrahlen, die durch einen Spalt in den geschlossenen Vorhängen in mein Zimmer fielen, hatten inzwischen ein rötliche Färbung bekommen. Gut, so würde es nicht mehr lange dauern, bis es dunkel war. Die Dunkelheit war mein Freund, mein Verbündeter. Ich konnte mich verstecken und wenn ich mit unsicheren Schritten die Wohnung verließ war ich ein wenig geschützt, falls mich jemand ansprechen würde. Bestimmt würde in der Dunkelheit niemand sehen, wie es mir ging. Mir, dem Alkoholiker. Schon lange traute ich mich nicht mehr in den Supermarkt, dieses grelle Licht, all die Leute. Womöglich fiel mir beim Bezahlen das Geld aus den zitterigen Händen. Nein, es durfte mich so keiner sehen. Als es endlich dunkel war, ging ich über Schleichwege zur nächsten Tankstelle. Einen Flachmann, den ich nach Verlassen der Tankstelle an einer versteckten Ecke leerte, und ein paar Flaschen Bier und eine ganze Flasche Korn. Als der Flachmann leer war und ich fast zu Hause war, ging es mir besser. Na also, geht doch! Ich war wohl nur ein wenig verspannt. Nach zwei weiteren Bier und einem Schluck Korn ging es mir richtig gut und ich holte aus dem nahe gelegenen kleinen Laden noch ein wenig Brot, Aufschnitt und sonstiges. Und noch vier Flaschen Bier, falls die anderen verbliebenen vier nicht reichen würden. Sogar die Wohnung räumte ich ein wenig auf, stellte die vollgepisste Matratze und die Heizung und entspannte mich, dachte an die alte Pinie, wie schön das alles war und dass ich irgendwann wieder dort hin fahren würde… Ich würde ein Instrument spielen, wenn ich in das kleine Städtchen marschieren würde und alle die, die ich damals kennen gelernt hatte, würden am Straßenrand stehen und applaudieren. Es würde alles wieder so wie damals sein.
Eigentlich konnte ich doch stolz auf mich sein, warum also diese Nervosität, dieses Gefühl der Leere, der ständigen Suche und des Verlassenseins? Was suchte ich denn? Meine Kindheit? Mein Vater war vor wenigen Wochen verstorben, irgendwie vermisste ich auch ihn.
Inzwischen war mir das Bier ausgegangen und die Kornflasche war auch schon recht leer. Die verhasste Uhr sagte mir, dass es 3.00 Uhr in der Frühe war. Ob noch eine Kneipe geöffnet war? Beim Versuch aufzustehen, fiel ich orientierungslos hin. Mein Kopf knallte gegen den Türpfosten. Wo war ich? Was suchte ich, verdammt noch einmal?