Ich hatte mehr Glück, als mir zustand. Einen Job, eine Frau und ein Haus. Glück? Nein, dieses Gefühl kannte ich schon lange nicht mehr. Und war es wirklich ‘Glück’ in einem stabilen Umfeld zu leben? Wäre ich nicht schon viel früher bereit gewesen zu kapitulieren wenn ich einsam, verlassen und ohne Geld irgendwo vor mich hin vegetieren würde? Dann nämlich wären die beiden Wege vor mir klar definiert gewesen: zu Tode saufen oder eine Therapie. Das Ende wäre in jedem Falle früher gekommen. Das Glück, ein intaktes Umfeld zu haben, würde sich erst am Ende zeigen.
Aber ich war ja sicher, dass ich das irgendwann schaffen würde. Warum konnten alle anderen denn trinken und keinen störte das? Und so ‘funktionierte’ ich. Ich tat brav alles, was man mir sagte, arbeitete gerne länger. Nur nicht auffallen und immer auf der Suche nach dem Augenblick, in dem ich mich heimlich mit meinem Freund, dem Alkohol, traf. Die Zeit zwischen den Abstürzen wurde immer kürzer, die Mengen, die ich vertrug wurden immer weniger. Nachdem ich eines Tages meine Mutter besuchte und deprimiert nach Hause fuhr, brach ich betrunken vor unserer Haustür zusammen und meine Frau schleppte mich mit Hilfe einer Nachbarin in die Wohnung. Wie mein Vater. Es war soweit.
Dann die Seminare, die ich im Auftrage meines Arbeitgebers besuchte – ein Freifahrtschein fürs Koma-Saufen. Dann die Zusammenbrüche vor dem Empfangstresen in den jeweiligen Hotels, oder Einlieferungen in die städtischen Krankenhäuser. Dann meine Ausreden, ich sei nur ‘überarbeitet’. Es ist mir heute noch schleierhaft, wie ich jedes Mal wieder nach Hause gekommen bin. Und ich wurde mehr und mehr auffällig, die Tage wurden zum Albtraum, kein Essen schmeckte mehr. Ausreden, Lügen und immer wieder Zusammenbrüche. ‘Wie tief bist du gesunken?’ dachte ich, als ich mein gehetztes Gesicht im Spiegel sah, als ich mit zitternden Hände eine Flasche Rasierwasser an meine Lippen hielt.
Klar, es gab auch Tage an denen ich meinen Level halten konnte, bzw. musste, weil ich nur schwer an Alkohol herankam. Offiziell hatte ich ja dem Alkohol abgeschworen und ich war stolz, der Abstinenzgruppe anzugehören und als nicht trinkendes Mitglied zu gelten. Ich belog sie alle und verarschte mich am allermeisten.