Die Kapitulation
Ja, natürlich hatte ich eine Abmahnung vom Arbeitgeber erhalten. Aber das war mündlich und eigentlich doch nicht tragisch, oder? Das mussten ‘die’ doch verstehen. Erst war mein Vater gestorben und kürzlich meine Mutter. Dann folgte ein zweites Gespräch.
Überhaupt: der Tod der Mutter. Danach waren alle Dämme gebrochen und mein Saufverhalten ließ sich nicht mehr verstecken, nachdem ich ein letztes Mal in der Wohnung meiner Eltern war, als ich ein letztes Mal in meinem Zimmer war, in dem mein Zelt stand – vor der so wunderbaren Reise in die Freiheit. Irgendwie kam alles wieder hoch in dem Moment, irgendwie war ein Schalter umgelegt und meine inneren Schreie konnte ich nicht mehr überhören. Ich wusste nur nicht, was sie mir sagen wollten.
So saß ich dann den beiden hohen Chefs gegenüber. Dummerweise hatten sie die grelle Sonne im Rücken; ich hatte sie im Gesicht. Ich schwitzte und das, was ich sagen wollte, sagte ich nicht, denn ich erhielt keine Chance dazu. Wider Erwarten waren die beiden sehr gut vorbereitet und wussten plötzlich eine Menge über Alkoholismus. Ich wurde ausgezählt. Die Konsequenzen waren eindeutig: sollte ich noch ein einziges Mal mit einer Fahne (sei es vom Vortag) oder mit Restalkohol erscheinen, würde das meine sofortige, fristlose Entlassung zur Folge haben. Ach ja, und dann sagten sie noch das, was alle sagten: mach eine Therapie.
Ein Kind hatte sich angekündigt. Ein Kind! Wie sollte das funktionieren? Nein, das konnte nicht funktionieren. Die Geschichte würde sich wiederholen und das war nicht akzeptabel, es durfte einfach nicht sein. Der Druck von allen Seiten wurde größer, unerträglich.
Zur Arbeit ging ich schon lange nicht mehr. Der Arzt hatte meinen Zustand sofort erkannt und es war klar, wenn ich zur Arbeit ginge, würde es die Entlassung bedeuteten. Der Alkohol hatte gewonnen und ich wartete auf die Zusage der Kostenübernahme für einen Therapieplatz.
Immer wieder hatte ich mir hier und da Geld besorgt, Freunde oder Nachbarn angepumpt. Immer wieder betrunken in der Wohnung zusammen gebrochen, ein Wrack. Vernichtet vom Alkohol, ohne eigenen Willen (es sei denn, etwas zum Saufen zu beschaffen), ohne Hoffnung, ohne Zukunft und mit einer unstillbaren Sehnsucht nach etwas, was ich nicht definieren, was ich nicht greifen konnte.
Ich erinnere mich noch genau an den Tag. Einen Zehner hatte ich gefunden und der langte locker für eine große Flasche Korn. Drei Tage bevor ich die Therapie antrat.
So saß ich dann im Keller. Meinen selbst gebauten Computer vor mir aufgebaut und ein Spiel gestartet. Überhaupt, Computer und Technik, da hatte ich Talent, in den Beruf wollte ich so gerne. Doch meine Eltern waren der Ansicht, etwas Kaufmännisches wäre besser für mich. Ich verachtete sie dafür und so verbrachte ich all die Jahre in Berufen, die mir nicht, aber auch gar nicht gefielen. Eltern sollte ihrem Kind so etwas nicht antun, dachte ich. Ach ja! Das Kind! Das Kind, dass wir bekommen würden! Vielleicht könnte ich ja mit dem Kinderwagen später – nach der Therapie, wenn ich ein wenig Abstand von allem hätte – kurz bei der Tankstelle vorbeifahren und mir jedes Mal eine Flachmann…. Ja! Klasse! ich Idiot! Genau wie damals, als ich als Kind meinen Vater in den umliegenden Kneipen suchte.
Nein! Der Teufelskreis musste durchbrochen werden. Die Geschichte durfte sich nicht wiederholen!
Ich startete den 1. Level des Spiels und nahm die Flasche Korn in die Hand. Ich streichelte sie fast liebevoll und sagte: ‘Weißt du, dass du jetzt die letzte Flasche Alkohol meines Leben sein wirst?‘ Dann leerte ich sie langsam.