Von nun an war niemand mehr vor mir sicher. Insbesondere die ‘Frischlinge’ waren ein beliebtes Ziel. Ich glaube, es war der Gründer der Anonymen Alkoholiker der mal sagte, er müsse jeden Tag mit einem Alkoholiker sprechen. Warum? Nun, jetzt war es mit klar: in jedem Alkoholiker steckt auch etwas von mir, ich kann in ihn hineinsehen und letztlich mich selbst verstehen. Doch auf meiner eigenen Station kam ich da hin und wieder nicht so gut an: ‘Nun hör doch mal auf mit dem Scheiß, ich hab jetzt Feierabend!’ bekam ich so manches Mal zu hören.

Aber Alkoholismus macht keinen Feierabend und so ‘schnappte’ ich mir einen der Neuankömmlinge oder  besuchte andere Stationen und diskutierte mit Gleichgesinnten, für die die Therapie ebenfalls keinen Feierabend kannte. Zunächst – da ich mit den anderen Stationen erst später vertraut wurde – nahm ich jeden Tag die Neuankömmlinge  – die es fast täglich gab – beiseite und ließ mir von ihnen erzählen, warum sie hier waren und wie das alles gekommen war. Es war fast immer derselbe Ablauf: getrunken wie alle anderen, dann lief im Leben etwas quer und das Saufen begann. Schön und gut, das hatte ich schon bei meinen Eltern gesehen und miterlebt. Doch da musste noch mehr sein, das alleine konnte nicht der Grund sein. Was war es?

Des Weiteren lerne ich das Putzen, und zwar in Form des gefürchteten Reinigungstages. Wann in meinem Leben bitteschön habe ich schon einmal eine Dusche gereinigt? Oder eine Toilette? Eigentlich eine selbstverständliche Arbeit, auch wenn es dem einen oder anderen überhaupt nicht gefällt. Meine Begeisterung hält sich auch in Grenzen.

In dieser Woche findet auch die allseits gefürchtete Supervision-Visite statt. Der Leiter der gesamten Einrichtung und zwei andere hohe Herren rufen einen nach dem anderen zu sich hinein in ein Zimmer und stellen Fragen. Die Fragen sind natürlich unterschiedlich und richten sich nach der jeweiligen Person. Manche Fragen sollen verdammt unangenehm sein und wehtun, und es sollen auch schon Patienten heulend aus dem Zimmer gelaufen sein.

Ich komme recht früh dran und bin auch schnell wieder draußen. Irgendwie enttäuschend, ich hatte mehr erwartet, ein paar Tipps oder Hinweise. Vielleicht lag es daran, dass ich jetzt ja nichts mehr verbergen will und offen alle Fragen beantwortete.

Vielleicht bin ich ja auf dem richtigen Weg.

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